Berlin, 02.06.22 - Die Ausweisung und der Erhalt von Schutzgebieten ist ein zentrales Mittel, um das dramatische Artensterben zu stoppen. Nach Zielsetzung der europäischen Biodiversitätsstrategie sollen bis 2030 30 Prozent der Landfläche Europas unter Schutz gestellt werden. Tatsächlich ist aber nicht nur der Schutz grüner „Inseln“ für den Arterhalt entscheidend, sondern gerade auch deren ökologische Vernetzung.
Eine an diesem Freitag, den 3.6.22, in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Science“ erscheinende Studie, deren Hauptautorin Angela Brennan, Umweltwissenschaftlerin an der University of British Columbia, ein WWF-Fellow ist, unterstreicht die Bedeutung dieser ökologischen „Konnektivität“ und stellt einen neuartigen Schutzgebiets-Isolations-Index vor. Dieser Index misst weltweit die Verbindung der Natur und kann so wertvolle Dienste leisten, um die Priorität von Schutzmaßnahmen festzulegen. In der aktuellen Vernetzung seiner Schutzgebietssysteme nimmt Deutschland weltweit nur Platz 111 der 164 untersuchten Länder und Territorien ein.
Albert Wotke, Programmleiter Flächennaturschutz des WWF Deutschland, sagte: „Vor 30 Jahren wurde in Nairobi das Übereinkommen zum Erhalt der Biologischen Vielfalt (CBD) auf den Weg gebracht. Doch bei der Umsetzung hat die Staatengemeinschaft versagt: Etwa eine Million Arten sind heute weltweit durch Lebensraumverlust, Übernutzung oder Klimaerhitzung vom Aussterben bedroht. Auf der Weltnaturkonferenz im August in Kunming muss es gelingen, das Steuer herumzureißen. Die ökologische Vernetzung von Schutzgebieten ist dabei ein zentraler Punkt. Die Bundesrepublik muss sich in Kunming mit ihrem ganzen Gewicht für die Biodiversität stark machen und auch bei der Finanzierung des internationalen Artenschutzes einen stärkeren Beitrag leisten. Konkret fordern wir eine Erhöhung der Ausgaben auf mindestens 2 Mrd. Euro pro Jahr bis 2025.
Zudem muss die Bundesregierung auch bei uns in Deutschland die Ausweitung von Schutzgebieten und deren Vernetzung voranbringen. Wichtige Schritte für solche Biotopverbünde sind mit dem `Blauen Band´, dem Bundesprogramm `Wiedervernetzung´, dem `Grünen Band´ und dem `Nationalen Naturerbe´ erfolgt, sie reichen aber bei Weitem nicht aus. Die Ampelkoalition muss sich bei der zugesagten Überarbeitung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt anspruchsvolle Ziele setzen, auch was die Schaffung zusätzlicher Biotopverbünde angeht.“
„Leider geht die Vernetzung der Natur immer mehr verloren. Die ökologischen Netzwerke zu erhalten bzw. wiederherzustellen ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit“, sagte Albert Wotke. Um das Problem zu veranschaulichen, denke man an die nächste Grünfläche oder den nächsten Park in einer größeren Stadt. Dabei handle es sich höchstwahrscheinlich um eine isolierte grüne Insel in einem Meer aus von Menschen geschaffener Infrastruktur, die für den Fortbestand der vollen Bandbreite an Tier- und Pflanzenarten nicht geeignet ist. Genau das passiere mit unseren verbliebenen Naturräumen im globalen Maßstab, weil immer mehr Land für die Gewinnung von Lebensmitteln oder Rohstoffen und andere Zwecke umgewandelt bzw. versiegelt werde.
Hintergrund Konnektivität:
Die Bedeutung der ökologischen Vernetzung wird am Beispiel der Tierwelt deutlich: Während ihres Lebenszyklus müssen die allermeisten Tierarten zwischen verschiedenen Gebieten hin- und herwandern, um ihre ökologischen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Orte, an denen sie ihre Nahrung finden, unterscheiden sich oft von den Orten, an denen sie sich zur Paarung oder zum Laichen versammeln, die wiederum von den Orten abweichen können, an denen sie ihre Jungen aufziehen oder an denen sie verlässlich Wasser finden können. Mit dem Wechsel der Jahreszeiten ändern sich die Umweltbedingungen und die Bedürfnisse der Arten, was zu den großen Wanderungen von Vögeln, Säugetieren, Insekten und Fischen führt. Sie brauchen hierfür jeweils geeignete Naturräume. Auch durch den Klimawandel bedingt müssen Tiere in neue Gebiete ausweichen, da ihre bisherigen Lebensräume sich zunehmend als ungeeignet erweisen. Dabei stehen ihnen zusätzlich vom Menschen geschaffene Strukturen im Weg, und der durch Menschen verursachte Lebensraumverlust schreitet parallel weiter voran.
Link zum "Science"-Artikel: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abl8974