Berlin, 7.7.22 – Der WWF Deutschland hat anlässlich des gravierenden Oder-Hochwassers vor 25 Jahren mehr Anstrengungen des Bundes und der Länder gefordert, für den Hochwasserschutz natürliche Überflutungsflächen wie z.B. Flussauen wiederherzustellen. Die Potentiale seien bei Weitem nicht ausgeschöpft. Dabei gehen laut Büro der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge mit der Klimakrise immer mehr gefährliche Fluten einher, was verdeutlicht, dass sich auch Deutschland dafür besser vorbereiten muss.
Am 8. Juli 1997 hatte das Brandenburger Landesumweltamt eine Hochwasserwarnung für die sich anbahnende Flut ausgegeben; am 17. Juli erreichte die Flut Brandenburg.
Dr. Astrid Eichhorn, Leiterin WWF-Büro Mittlere Elbe, sagte: „Das Oder-Hochwasser vor 25 Jahren erinnert uns genau wie die Elbe-Flut 2002 und die Ahrtal-Katastrophe im vergangenen Jahr daran, welche Urgewalt Flüssen innewohnt.
In Tschechien und Polen brachte das Hochwasser vielen Menschen den Tod, bei uns schwerste Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Wir haben die Fernsehbilder überfluteter Dörfer in der Ziltendorfer Niederung und den dramatischen Katastropheneinsatz der Bundeswehr noch vor Augen.
Doch die Erinnerung allein nützt nichts, wir müssen auch Konsequenzen daraus ziehen – vor allem weil wir uns durch die Klimakrise auf mehr extreme Hochwasser einstellen müssen. Eine zentrale Aufgabe ist es, den Flüssen mehr Raum zu geben. Flüsse müssen sich bei Hochwasser in der Fläche ausbreiten können, wie es seit jeher möglich war. Doch unsere Flüsse wurden vor allem im 19. Jahrhundert durch Begradigung, Vertiefung und Uferbefestigung in ein enges Korsett gezwängt. Sie wurden ihrer natürlichen Überflutungsgebiete, der Auen, beraubt, indem das Gewässerbett von der Aue durch Deiche abgetrennt wurde. Im heutigen Hochwasserrisikomanagement spielen daher Deichrückverlegungen und die Renaturierung von Flussauen eine herausragende Rolle. Auch wenn in den vergangenen 25 Jahren vor allem im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms schon viel erreicht wurde, braucht es noch viel mehr Anstrengungen.“
Astrid Eichhorn verwies auf den Auenzustandsbericht des Bundesamts für Naturschutz (BfN) von 2021, wonach an Deutschlands Flüssen zwischen 1983 und 2020 65 Deichrückverlegungen mit einer Gesamtfläche von 7100 Hektar erfolgten. Durch Abtragen, Zurückverlegen und Schlitzen von Deichen und flussnahen Dämmen seien die überflutbaren Flussauen dadurch um rund 1,5 % vergrößert worden. 32 Projekte mit einer Fläche von 4.183 Hektar entfielen auf den Zeitraum von 2009 bis 2020. Der Bericht des BfN räume aber auch ein, dass das Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, die Rückhalteflächen bis 2020 um mindestens 10 Prozent zu vergrößern, nicht erreicht worden sei und dass es hierfür weiterhin großer Anstrengungen bedarf. „Das Potential für die Wiederanbindung von Auenflächen ist bislang erst zu einem kleinen Teil ausgeschöpft“, sagte Astrid Eichhorn.
Die WWF-Expertin warnte zudem davor, an der Oder alte Fehler zu wiederholen: „Derzeit auf polnischer Seite der Oder vorangetriebene Pläne zur Verlängerung und Erhöhung vorhandener Buhnen sowie zum Ausbau von Deichen gefährden nicht nur wertvolle Naturlandschaften wie den Nationalpark Unteres Odertal, sie würden auch das Hochwasserrisiko verschärfen.“
Laut Büro der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge (UNDRR) gab es 1995 bis 2004 pro Jahr weltweit durchschnittlich 127 Überschwemmungen im Jahr. 2005 bis 2014 wuchs diese Zahl auf durchschnittlich 171 pro Jahr an. 2021 lag sie bereits bei 223. Die erfassten weltweiten wirtschaftlichen Schäden durch Überschwemmungen lagen laut UNDRR 2021 bei 74,4 Milliarden US-Dollar. Hochwasserschäden liegen damit auf Platz 2 nach Unwettern/Stürmen.
Der WWF Deutschland unterhält an der Mittlere Elbe selbst ein Auenwald-Projekt – das bislang größte WWF-Projekt Deutschlands. Im Bereich des Lödderitzer Forstes wurde auf 7,3 Kilometer Länge sechs Jahre lang ein neuer Deich gebaut – bis zu 2,5 Kilometer weiter weg vom Fluss als der alte. Nach dessen Fertigstellung wurde der alte Deich 2017 an insgesamt zehn geeigneten Stellen „geschlitzt“ und damit durchlässig gemacht. Auf 600 Hektar Fläche darf sich die Elbe bei Hochwasser wieder natürlich ausbreiten, wertvoller Auenwald von der Mulde- bis zur Saalemündung wird wieder an die natürliche Überflutungsdynamik angeschlossen. Das Projekt wurde 2019 abgeschlossen.
Der WWF Deutschland ist Mitglied des „Aktionsbündnis lebendige Oder“, in dem sich zehn deutsche Umwelt- und Naturschutzorganisationen zusammengeschlossen haben. Länderübergreifend haben sich deutsche, polnische und tschechische Umweltorganisationen im Bündnis „Zeit für die Oder“ zusammengeschlossen. Link: www.saveoder.org