WWF-Report: 224 bisher unbekannte Arten am Mekong entdeckt / Bilder aus Werbeprosekten und Museums-Präparate führten zu Neuentdeckungen

Ein Affe, der zuerst in einer Museumsvitrine entdeckt wurde, eine "Stinkkäfer"-Blume, die beim Zubereiten eines Chili-Dips verwendet wird, eine schwarz-lila gefärbte Höckernatter und ein Gecko, der aussieht als sei er zur Hälfte gelb angestrichen - das sind nur vier der 224 neuen Arten, die Wissenschaftler:innen innerhalb eines Jahres in der Mekong-Region entdeckt haben. Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht der Naturschutzorganisation WWF hervor. Der Report dokumentiert die Arbeit  hunderter Wissenschaftler:innen aus Universitäten, Naturschutzorganisationen und Forschungsinstituten.

Unter den Neufunden zählt der WWF-Report „New Species Discoveries in the Greater Mekong 2020 35 Reptilien, 17 Amphibien, 16 Fische, ein Säugetier und 155 Pflanzen. Die Zahl der seit 1997 in Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam entdeckten Tier- und Pflanzenarten wächst damit auf 3007.  „Mit mehr als 3.000 neuen Arten in den letzten 24 Jahren ist die Mekong-Region zweifellos ein weltweites Schwergewicht bei der Entdeckung von Arten. Sie beherbergt einige der bekanntesten und gefährdetsten Arten der Welt wie etwa den Tiger und den Mekong-Riesenwels. Die neuen Funde zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn wir ihre Lebensräume nicht schützen und erhalten“, erklärt Dr. Stefan Ziegler, Südostasien-Referent beim WWF Deutschland. 

Dabei haben einige Erstentdeckungen ungewöhnliche Ursprünge. So wurde ein orange-brauner Krokodilmolch mit auffälligen Teufelshörnern (Tylototriton phukhaensis) zufällig auf einem 20 Jahre alten Foto aus einer Reisezeitschrift über Thailand entdeckt, was das Interesse eines Forschers weckte, der sich dann auf die erfolgreiche Suche nach der Art im Norden des Landes machte. Der neubeschriebene Langure Trachypithecus popa wurde erstmals in Form eines 100 Jahre alten Museumsexemplars aus dem Natural History Museum in London identifiziert. Benannt ist die Affenart nach dem erloschenen Vulkan Mount Popa in Myanmar.

Viele der entdeckten Arten sind bereits jetzt stark bedroht. Von den neu beschriebene Popa-Languren gibt es beispielsweise in freier Wildbahn nur noch rund 200 bis 250 Exemplare, die jedoch durch die Jagd und den Verlust ihres Lebensraums in Gefahr sind. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Verlieren wir die Mekong-Region als biologischen Hotspot verlieren wir einen beträchtlichen Teil der globalen Artenvielfalt“, so Ziegler.

Ähnlich sieht das auch Prof. Thomas Ziegler, Kurator am Zoologischen Garten Köln. Im Vorwort des Berichts weist er auf die extremen Bedrohungen hin, denen diese Arten ausgesetzt sind, und erklärte, dass "wir unsere Arbeit beschleunigen und die internationale Zusammenarbeit verstärken müssen, um diesen Schatz an biologischer Vielfalt zu erfassen, bevor er vollständig verloren geht."

Zu den Highlights der Neuentdeckung zählt der WWF unter anderem:

  • Amomum foetidum: Die Pflanze aus der Familie der Ingwergewächse wurde in einem Pflanzenladen in Ostthailand entdeckt und verströmt einen stechenden Geruch. Die „Stinkkäfer“-Blume wird vor Ort auch als Ersatz für Stinkwanzen in einer beliebten Chilipaste verwendet.
  • Leptobrachium Iunatum: Erst DNA-Analysen und Körpermessungen brachten die Gewissheit: Der neu entdeckte Schaufelfußfrosch beschreibt eine bisher unbekannte Art, die sich von den anderen rot-äugigen Fröschen in den Regionen unterscheidet. Sie stammt nicht etwa von einer fernen Galaxie wie ihre mondsichelförmige Iris vermuten lässt, sondern aus dem Hochland in Vietnam und Kambodscha. Dort hat der Frosch besonders mit Lebensraumverlust durch Entwaldung und Landnutzungsänderung zu kämpfen.
  • Cnemaspis selenolagus: Zur einen Hälfte gelb, zur anderen grau. Die besondere Färbung des in Suan Phueng in Thailand entdeckten Geckos unterscheidet ihn nicht nur von allen anderen Arten seiner Gattung. Durch den einzigartigen Farbverlauf kann sich der Gecko tagsüber ideal zwischen Flechten und Moosen tarnen, bevor er sich nachts in Felsspalten oder auf Äste verkriecht.
  • Kayahschistura lokalayensis: Verwandt und doch verschieden: Wie die meisten seiner nahen Verwandten lebt dieser Höhlenfisch versteckt unter Steinen in Teichen und Flüssen Südostasiens. Sein farbloser Körper, die besonders unterentwickelten Augen und der ungewöhnliche Flossenstachel auf seiner Brust sind aber einmalig für diese Art und bringen ihr einen neuen Gattungsnamen ein, der dem Fundort (Kayah-Staat) nachempfunden ist.  
  • Achalinus zugorum: Noch nie zuvor hatte das Expeditionsteam um Dr. Ayeh Miller eine dunkellila-gefärbte Schlange mit einem so außergewöhnlichen Schuppenmuster auf Rücken und Schwanz gesehen. Die Schlange stellte sich als neue Art der besonders seltenen Gattung der Höckernattern heraus, deren Schuppen sich anders als bei allen anderen Arten nicht überlappen. Besondere Photorezeptoren in ihren Augen verhelfen der nachtaktiven Art zudem zu einer besonders guten Sicht in der Dunkelheit.
  • Trachypithecus popa: Die neu beschriebene Popa-Langurenart wurde ursprünglich nicht in freier Wildbahn, sondern im Natural History Museum im Vereinigten Königreich entdeckt. Knochenfunde in Myanmar deuteten aber kürzlich darauf hin, dass die ausgestorben geglaubte Art noch lebendig ist. Dem WWF und Fauna and Flora International (FFI) gelang es 2018, Aufnahmen der seltenen Art zu machen.
  • Sonerila cardamomensis: Die tropische Pflanze mit ihren fliederfarbenen Blüten gehört zur Familie der Schwarzmundgewächse (Melastomataceae), die derzeit 22 verschiedene Arten am Mekong zählt. Bisher wurden nur zwei Populationen des Neufundes in den felsigen Sandsteingebieten im Nationalpark der kambodschanischen Kardamom-Berge entdeckt. Die Zahl der Pflanzen wird derzeit auf etwa 2000 Individuen geschätzt.

Hintergrund „Greater Mekong:

Die Region „Greater Mekong“ erstreckt sich über die Länder Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam. Im 800.000 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet des Mekongs haben sich verschiedene wertvolle Waldtypen, Überschwemmungslandschaften sowie Mangroven auf engstem Raum entwickelt. Die einmaligen Landschaften Südostasiens bieten ein zu Hause für schätzungsweise rund 20.000 Pflanzenarten, 1.200 Vogelarten, 800 Reptilien und Amphibienarten und 430 Säugetiere – inklusive der Asiatischen Elefanten und Tiger. Nirgendwo in Asien gibt es eine größere Artenvielfalt als in und um den Mekong, die „Mutter aller Wasser“. Der WWF fordert, die biologisch wertvollen Gebiete am Mekong grenzüberschreitend und dauerhaft zu schützen, um damit die noch teils unentdeckte Artenvielfalt und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen zu erhalten.

Kontakt

Roland Gramling

Pressesprecher, Berlin