Unseren Arten und natürlichen Lebensräumen geht es katastrophal schlecht. Mit dem Entwurf für ein EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) legte die EU-Kommission im Sommer einen wegweisenden Vorschlag vor, um den Trend zum weiteren Niedergang der bereits stark vorgeschädigten Natur umzukehren. Morgen wird dieser erstmals im EU-Umweltministerrat besprochen. Der WWF Deutschland fordert die Bundesregierung auf, sich für eine zügige Umsetzung und ein robustes Renaturierungsgesetz mit ambitionierten Zielen stark zu machen.
Johann Rathke, Koordinator für Agrar- und Landnutzungspolitik des WWF, sagt: „Das Artensterben ist neben der Klimakrise die größte Bedrohung für unsere Lebensgrundlagen und unseren Wohlstand. Ob Küsten, Wälder, Moore, Flüsse oder Grasland: 81 Prozent der natürlichen europäischen Lebensräume sind in schlechtem oder unzureichendem Zustand. Gründe dafür sind die Übernutzung und Umwandlung der Natur in Wirtschaftsflächen, die Umweltverschmutzung und die starke Entwässerung der Landschaft. Wenn es uns nicht gelingt, die fortschreitende Naturzerstörung zu stoppen und die natürlichen Lebensräume wiederherzustellen, verschwinden nicht nur unzählige weitere Pflanzen und Tierarten. Wir verlieren damit auch unverzichtbare Fähigkeiten der Natur, wie die Bereitstellung sauberen Wassers, sauberer Luft, gesunder Böden oder die Bestäubung durch Wildbienen, von denen menschliches Wirtschaften abhängt. Nichtstun hieße, unsere Lebensgrundlagen zu untergraben und die Widerstandsfähigkeit unserer Kulturlandschaft gegen die Folgen häufigerer Wetterextreme wie Dürren und Überschwemmungen, die uns jährlich Milliarden kosten, weiter zu schwächen. Jeder Euro, den wir in die Renaturierung investieren, zahlt sich daher auch ökonomisch um ein Vielfaches aus. Der Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, die Emissionen aus der Moor- und Bodenzerstörung durch die Land- und Forstwirtschaft zu reduzieren, die natürliche Kohlenstoffspeicherung von Mooren zu erhöhen sowie dem Artensterben entgegenzuwirken.
Mit dem EU-Renaturierungsgesetz besteht die einmalige Chance, den Zustand einer großen Bandbreite von geschädigten Landschaftstypen und Lebensräumen wie Wälder, Meere, Agrarlandschaften, Feuchtgebiete, Naturschutzgebiete oder Flüsse zu verbessern. Es sieht rechtlich verbindliche Ziele vor, zu deren Erreichung die Mitgliedsstaaten nationale Wiederherstellungspläne auf den Weg bringen sollen. Die EU-Umweltministerinnen und ‑minister müssen diese Chance ergreifen. Sie müssen verhindern, dass Mitgliedsstaaten den Gesetzesvorschlag aus kurzfristigen wirtschaftlichen Erwägungen verwässern.“
Deutschland müsse für die Wiederherstellung seiner wertvollen Lebensräume aber auch jetzt schon seine Hausaufgaben machen, sagt Johann Rathke. 63 Prozent der in Deutschland nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) erfassten Arten und 69 Prozent der FFH-Lebensraumtypen weisen einen unzureichenden bis schlechten Erhaltungszustand auf, weniger als zehn Prozent der deutschen Flüsse, Seen und Küstengewässer haben einen guten ökologischen Zustand. Zudem wurde Deutschland von der EU aufgrund von Missständen bei der Umsetzung der europäischen FFH-Richtlinie verklagt.
Rathke mahnt zudem Verbesserungen am vorliegenden Entwurf an: So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass alle Mitgliedsstaaten überprüfbar zur Renaturierung beitragen. Andere EU-Politikfelder wie die Gemeinsame Fischereipolitik, die Gemeinsame Agrarpolitik, die EU-Energiepolitik und nationale Politiken z.B. im Forstbereich dürfen die Ziele des EU-Renaturierungsgesetzes nicht gefährden. Vielmehr bedarf es ambitionierterer Maßnahmen zur Wiederherstellung frei fließender Flüsse, Moore und Wälder. Wir schlagen z.B. vor, dass bis 2030 der frei fließende Charakter auf 15 Prozent der EU-Fließgewässerstrecken wiederhergestellt wird.
Das EU-Gesetzesvorhaben ist nach den jahrzehntealten Vogelschutz-, FFH- und Wasserrahmenrichtlinien die derzeit weitreichendste Naturschutzinitiative auf europäischer Ebene. Mit dem EU-Renaturierungsgesetz sollen sich die EU-Mitgliedsstaaten u.a. verpflichten, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der europäischen Land- und Meeresflächen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur durchzuführen.