Ein Jahr nach dem Start der Ampel-Koalition zieht der WWF Deutschland eine gemischte klimapolitische Bilanz. „Zwar ist die rot-gelb-grüne Bundesregierung ambitioniert gestartet und hat im Eiltempo große Reformen angestoßen – etwa bei der Energiewende – doch kann ein Jahr später nicht in allen Bereichen von konsequentem Klimaschutz die Rede sein“, sagt Viviane Raddatz, Fachbereichsleiterin für Klimaschutz- und Energiepolitik beim WWF. „Gerade aufgrund der Energiekrise hätte man Effizienz- und Einsparmaßnahmen ambitionierter ausgestalten müssen, beispielsweise in der Industrie sowie im Verkehrs- und Gebäudebereich.“ Der WWF kritisiert, dass beschlossene Entlastungsmaßnahmen den Verbrauch fossiler Energien sogar weiter angeheizt haben und zudem wenig sozial gerecht ausgestaltet waren.
„Die drei folgenden Jahre der Legislaturperiode muss die Koalition nun für die Umsetzung ihrer im Koalitionsvertrag vereinbarten Ambitionen nutzen. Fest steht: Krisen- und Notfallmaßnahmen dürfen jetzt nicht den Rest der Legislaturperiode bestimmen und neue klimaschädliche Abhängigkeiten schaffen“, fordert Raddatz etwa mit Blick auf neue Gasprojekte in Afrika und den Bau neuer LNG-Infrastruktur in Deutschland. Der klare Auftrag für den selbsternannten “Klimakanzler” lautet: Das Augenmerk muss jetzt auf die Umsetzung der mittel- und langfristigen transformativen Ziele gelegt werden. Scheindebatten etwa über verlängerte Atomlaufzeiten oder Fracking darf es nicht mehr geben.
Bekämpfung der fossilen Energiekrise
Bei der Bekämpfung der fossilen Energiekrise zielen die bisherigen Maßnahmen auf eine kurzfristige Diversifizierung der fossilen Gasversorgung, aber zu wenig auf zusätzliche Investitionen in Erneuerbare Energien und eine schnellere Transformation in den einzelnen Sektoren. „Der langfristige Weg heraus aus der fossilen Abhängigkeit führt nur über massive Investitionen in die Transformation“, sagt Raddatz. Anreize dafür können etwa dadurch geschaffen werden, dass Entlastungen für die Industrie an Bedingungen geknüpft werden: Entlastete Unternehmen müssen also zeigen, wie sie mit zusätzlichen Investitionen die Dekarbonisierung ihrer Produktion vorantreiben. „Es braucht dafür auch schnellstmöglich einen Fahrplan für den Ab- und Umbau klimaschädlicher Subventionen“, ergänzt Raddatz.
Die bisher von der Ampel beschlossenen Entlastungsmaßnahmen sind indes kaum verknüpft mit Anreizen zum Energiesparen oder Investitionen für ein schnelleres Ende fossiler Abhängigkeiten. „Stattdessen riskieren Maßnahmen wie der Tankrabatt, eine überdimensionierte LNG-Infrastruktur und mehr Kohleverstromung Rückschläge für den Klimaschutz zu werden“, kritisiert Raddatz. Nachsteuern sollte die Ampel zudem unbedingt bei der Strompreisbremse, damit diese bei den Erneuerbaren nicht zum Investitionshemmnis wird.
Um Bürger:innen vor hohen Energiepreisen zu schützen, sind gezielte Entlastungsmaßnahmen für Haushalte mit geringem Einkommen notwendig. Die angekündigte Einführung eines Klimagelds zur Rückerstattung der Einnahmen aus der nationalen CO2-Bepreisung steht jedoch weiterhin aus. Dabei wäre eine bürokratiearme Einführung schnell möglich, wie eine Studie des WWF und weiteren Umwelt- und Sozialverbänden zeigt.
Klimaschutzgesetz
Äußerst kritisch bewertet der WWF, dass das eigentlich für dieses Jahr geplante Klimaschutzsofortprogramm und ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz mangels Einigung innerhalb der Koalition noch immer nicht vorliegen. „Die jahresscharfen Sektorziele sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für zielgerichtete Klimaschutzmaßnahmen in den einzelnen Bereichen“, so Raddatz. „Die Bundesregierung muss das Klimaschutzgesetz deshalb im Sinne der Vorschläge des Expert:innenrates weiterentwickeln und ein sektorübergreifendes und ambitioniertes Klimaschutzsofortprogramm vorlegen.”
Energiewende
Positiv bewertet der WWF, dass die Bundesregierung im Eiltempo eine Reihe wichtiger Reformpakete für den schnelleren Ausbau der Wind- und Solarenergie auf den Weg gebracht hat. „Diese Vorgaben müssen nun zeitnah Anwendung finden“, fordert Raddatz. „So müssen unter anderem die Flächen ausgewiesen, Genehmigungsverfahren beschleunigt und eine umfassende Solarpflicht eingeführt werden.“ Bei der Erarbeitung eines neuen Strommarktdesigns auf EU-Ebene sollte sich die Bundesregierung zudem dafür einsetzen, dass deren Ausgestaltung die Erneuerbaren ins Zentrum stellt.