Berlin, 14.09.2020: Morgen beginnt vor dem Landgericht in Bozen der Strafgerichtsprozess gegen einen Mitarbeiter des Umweltinstituts München (UIM). Weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UIM, der Buchautor und Filmemacher Alexander Schiebel sowie sein Verleger vom oekom Verlag sind ebenfalls verklagt worden. Vorgeworfen wird ihnen unter anderem üble Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft, weil sie über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol und dessen Folgen berichtet haben. Im Raum stehen immense Forderungen nach Schadensersatz. Der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft, Arnold Schuler, sowie mehrere Südtiroler Landwirtinnen und Landwirte hatten Anzeige erstattet und die Südtiroler Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Klima-Allianz Deutschland, der Worldwide Fund For Nature (WWF) und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) kritisieren das Vorgehen der Politik und der Anzeige erstattenden Landwirte und Grundbesitzer scharf.
Hierzu erklären die Verbände übereinstimmend: „Wir erklären uns solidarisch mit den Angeklagten und sind entsetzt über die Klage. Kritik und freie Meinungsäußerung sind elementare Bestandteile einer Demokratie. Die Meinungsfreiheit ist eine wertvolle Errungenschaft für unsere Gesellschaft und ist in der Europäischen Union im Vertrag von Lissabon verankert. Versuche, Kritikerinnen und Kritiker per Anzeigen und Klagen mundtot zu machen, verurteilen wir aufs Schärfste.“
Durch die Klagen in Südtirol wird nach Auffassung der Verbände billigend in Kauf genommen, dass Bürgerinnen und Bürger wie auch Institutionen sich aus der Diskussion über umweltpolitische Fragen aus Angst vor unabsehbaren juristischen und wirtschaftlichen Folgen zurückziehen. Die Verbände halten es für dringend notwendig, in Europa weiter eine offene und angstfreie Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft zu führen. Sie fordern die Kläger auf, ihre Anzeigen zurückzuziehen und mit Zivilgesellschaft, Kommunen und Bürgerinnen und Bürger in einen offenen Dialog zu treten, um gemeinsam europäische Landwirtschaft zu gestalten und dabei Gesundheit, Klima und Artenvielfalt zu schützen. Denn die Diskussion über Alternativen zum chemisch-synthetischen Pestizideinsatz im Südtiroler Obstanbau sei angesichts von Klimakrise und massivem Artensterben dringend geboten, so die Verbände.
Hintergrund: Obstanbau in Südtirol
In der Provinz Südtirol wachsen auf circa 18.000 ha Anbaufläche Äpfel. Rund zehn Prozent der insgesamt in Europa geernteten Äpfel stammen von dort. Teilweise wird in den Apfelplantagen mehr als 20 Mal im Jahr gespritzt. Die vor allem im Obstbau eingesetzten Insektizide und Fungizide verbreiten sich über den Wind und finden sich noch kilometerweit entfernt auf biologisch bewirtschafteten Feldern, Spielplätzen, Radwegen und in entlegenen Bergtälern wieder. Artenvielfalt und menschliche Gesundheit werden durch diese Pestizide beeinträchtigt.