Berlin, 29. 10.2020: Pandemien werden häufiger auftreten, sich schneller ausbreiten, mehr Menschen töten und größere Schäden für die Weltwirtschaft haben als COVID-19, wenn es nicht gelingt, ihnen besser als bisher vorzubeugen. Dafür muss die Weltgemeinschaft ihre Art der Nutzung der Ökosysteme grundlegend wandeln, warnt ein neuer Bericht über Biodiversität und Pandemien des Weltbiodiversitätsrats (engl. Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/IPBES). Als wesentliche Risikofaktoren für künftige Pandemien nennen die 22 Expert:innen aus aller Welt die fortschreitende Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen - zum Beispiel für die Ausweitung und Intensivierung der Landwirtschaft - sowie den Handel mit und den Konsum von Wildtieren.
Der WWF sieht die Europäische Union in der Verantwortung, zur globalen Vorreiterin einer ökologischen Pandemievorsorge zu werden. „Die EU ist einer der größten Pro-Kopf-Importeure von landwirtschaftlichen Rohstoffen, sie muss unter anderem umgehend ein wirksames Gesetz vorlegen, das den Import von umweltzerstörerischen Produkten untersagt“, sagt Arnulf Köhncke vom WWF Deutschland. Die Umweltschutzorganisation fordert außerdem eine Ausweitung der gezielten technischen wie finanziellen Unterstützung von Entwicklungs- und Schwellenländern, um den illegalen und unregulierten Wildartenhandels zu stoppen und für eine effektivere Kontrolle des legalen Handels, etwa mit Wildfleisch, zu sorgen.
Zudem muss sich die EU in den Verhandlungen eines neuen Rahmenwerkes der UN-Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity, CBD) für ein ambitioniertes Ergebnis einsetzen. Mit den voraussichtlich nächstes Jahr zu verabschiedenden neuen CBD-Zielen muss es gelingen können, den Biodiversitätsverlust bis 2030 weltweit zu stoppen und umzukehren. Um das zu schaffen werden mehr Naturschutzgebiete benötigt – der WWF fordert 30 Prozent der Land- und Meeresfläche zu schützen. Aber auch Politik und Wirtschaft müssen Biodiversität sektorübergreifend mitdenken. „Wir brauchen globale Ziele für einen echten transformativen Wandel“, so Köhncke. „Dazu gehört zum Beispiel auch der Finanzsektor. Wird auch in Zukunft in biodiversitätsschädliche Wirtschaftsaktivitäten investiert, zerstören wir unsere eigenen Lebensgrundlagen und erhöhen gleichzeitig das Risiko für künftige Pandemien.“
Der neue IPBES-Report spricht von geschätzt 1,7 Millionen derzeit "unentdeckten" Viren in Säugetieren und Vögeln. Bis zu 850.000 könnten die Fähigkeit haben, Menschen zu infizieren. Die Expert:innen schätzen außerdem, dass es die Weltgemeinschaft hundert mal weniger kostet, das Risiko für eine weitere Pandemie wie COVID-19 zu reduzieren und ihr vorzubeugen als sie bewältigen zu müssen. „Eine intakte Natur ist ein Bollwerk gegen neue Krankheitserreger und Pandemien und muss endlich als entscheidender Schlüsselfaktor für unsere Gesundheit wahrgenommen werden – mehr Biodiversitätsschutz und mehr Klimaschutz zahlen sich hundertfach aus“, sagt Arnulf Köhncke vom WWF.
Im Mai hatte der WWF in einer Analyse mit dem Titel „Beyond Boundaries: Insights into emerging zoonotic diseases, nature, and human well-being“ ebenfalls vor wachsenden globalen Gesundheitsrisiken aufgrund von Umweltzerstörung gewarnt. So nimmt laut dem Papier die Gefahr weiterer Zoonosen zu – also von Krankheitserregern, die von Wild- und Haustieren auf Menschen überspringen. Ausbrüche anderer Infektionskrankheiten, wie etwa Malaria, stehen zudem im direkten Zusammenhang mit Waldrodungen. Im schlimmsten Fall sei COVID-19 nur ein Vorgeschmack drauf, was uns drohen könnte, so der WWF. Die Umweltschutzorganisation fordert daher ein international konsequentes Vorgehen gegen den illegalen Wildtierhandel und eine bessere Regulierung des legalen Handels, ein Ende der Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen sowie mehr Grundlagenforschung über die Prozesse, die das Überspringen von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen möglich machen.