Berlin: Der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles will die derzeitige Fokussierung der Medien auf die Corona-Pandemie dafür nutzen, um den Schutz des Amazonas aufzuweichen. Das geht aus einem Video einer Kabinettssitzung vom 22. April der brasilianischen Bundesregierung hervor, das am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Die Regierung solle das aktuelle Zeitfenster dafür nutzen, entsprechende Gesetzesänderungen durchzusetzen, ohne einen gesellschaftlichen Aufschrei zu erzeugen, so Salles. Unter anderem sagte der Umweltminister an die Regierungsmitglieder gerichtet: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, da die Presse sich ausschließlich mit COVID beschäftigt, uns das Amazonas-Thema vorzunehmen. Wir haben jetzt die Chance (…), alle die Reformen zur Deregulierung und Vereinfachung durchzuführen.“
Roberto Maldonado, Brasilien-Referent beim WWF Deutschland, kommentiert:
„Die Aufnahme ist gleichermaßen schockierend und beweist letztlich, was wir längst wussten: Ricardo Salles ist nur auf dem Papier ein Umweltminister, im Geiste ist er ein Umweltzerstörungsminister. Er liegt damit ganz auf Linie von Präsident Jair Bolsonaro, dessen Amazonas-Agenda sich ausschließlich an den kurzfristigen Interessen von Agrarindustrie, Bergbauindustrie und Großgrundbesitzern orientiert – zum langfristigen Schaden aller Brasilianerinnen und Brasilianer und der Menschen weltweit. Die Entwicklung ist umso tragischer, als dass Brasilien keinen einzigen Baum zu fällen bräuchte, um die Wachstumsziele im Agrarsektor zu erreichen.“
Nicht zufällig sei 2019 das Jahr mit der höchsten Abholzung im Amazonasgebiet seit zehn Jahren gewesen und aktuelle Daten zeigten, dass 2020 noch schlimmer werden könne. Erst letzte Woche veröffentlichte der WWF eine Analyse, aus der hervorgeht, dass die Entwaldung in Brasilien während des ersten „Corona-Monats“ März um über 50 Prozent in die Höhe geschnellt ist im Vergleich zu den Vorjahren. Fast 100.000 Hektar Tropenwald gingen im größten südamerikanischen Land allein in dem einen Monat verloren.
Gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen in Brasilien fordert der WWF den Rücktritt von Salles. Daneben weisen die Umweltschützer aber auch auf die Verantwortung anderer Staaten und ausländischer Unternehmen hin. Deutsche und europäische Unternehmen müssten dringend ihre Lieferketten überprüfen und endlich entwaldungsfrei gestalten. Das gelte insbesondere für Firmen, die Soja oder andere Agrarrohstoffe aus Brasilien beziehen bzw. in ihren Lieferketten haben. Von der deutschen Bundesregierung erwartet der WWF, sich in den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten für bessere soziale und ökologische Standards einzusetzen. Es dürften keine Waren importiert werden, für die der Regenwald abgeholzt wurde.