Am 29. Mai 2020 wird die vom WWF unterstützte Klage der Umweltverbände BUND und NABU gegen die umstrittene Elbvertiefung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. Das Aktionsbündnis „Lebendige Tideelbe“ hatte im September 2018 erneut gegen das Vorhaben geklagt. Nach seiner Auffassung verstoßen die Planung und Umsetzung auch nach mehrfachem Nachbessern gegen geltendes Recht und führen zu einer unverhältnismäßigen Schädigung der Elbe als Lebensraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Unabhängig vom Gerichtsurteil sprechen auch ökonomische Faktoren dafür, den Ausbau der Elbe zu stoppen.
Schädigung des Lebensraums Elbe ist unverhältnismäßig
Unzureichende Ausgleichsmaßnahmen
Zentraler Punkt der Verhandlung ist der Schierlings-Wasserfenchel. Da der Lebensraum dieser weltweit nur noch an der Tideelbe vorkommenden, nach der Habitatrichtlinie streng geschützten Pflanze durch die Elbvertiefung verkleinert wird, versprach Hamburg der EU Ausgleichsmaßnahmen zu deren Erhalt. Diese sind entweder gescheitert, nicht verwirklicht oder nach dem Maßstab „Was geht schnell“ statt „Was funktioniert“ ausgesucht worden. Letzteres gilt insbesondere für die nachträglich ins Verfahren eingebrachte Maßnahme Billwerder Insel. NABU-Vorsitzender Alexander Porschke warnt: „Die Elbe ist jetzt schon in einem kritischen Zustand. Wenn jetzt noch eine derartige Großmaßnahme wie die neunte Elbvertiefung verwirklicht wird, dann muss sie bald wieder auf die Intensivstation.“
Elbe in schlechtem Zustand
Der Schierlings-Wasserfenchel steht stellvertretend für das gesamte Ökosystem Elbe. Deutschland ist verpflichtet, seine Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Der Elbe aber geht es schlecht, und das zeigt sich auch im drastischen Rückgang des Stints. Auslöser wie ein verstärkter Tidenhub und damit verbundene Verlandung von wertvollen Seitenbereichen der Elbe lassen sich noch auf die letzte Elbvertiefung zurückführen. Deren Auswirkungen sind sehr viel größer als ursprünglich prognostiziert. Vor allem verschlicken die Fahrrinne und der Hafen, was verstärkte Unterhaltsbaggerungen nötig macht, die wiederum das Gewässer trüben – eine der wesentlichen Ursachen für den Rückgang der Stinte. Es ist unstrittig, dass die aktuelle Elbvertiefung diesen negativen Trend nochmals verstärken wird.
Veraltete Prognose
Die Verbände befürchten, dass die Auswirkungen der aktuellen Elbvertiefung erneut falsch eingeschätzt werden und die negativen Entwicklungen deutlich größer wären als bisher angenommen. Besonders zu kritisieren ist, dass keine neue Auswirkungsprognose zur geplanten Elbvertiefung erstellt wurde. Der aktuelle Planergänzungsbeschluss aus 2018 bezieht sich auf Modellierungen auf Basis einer überwiegend acht Jahre alten, teilweise noch älteren Topografie des Flussgrundes. „Wir fordern die Stadt Hamburg und die Bundeswasserstraßenverwaltung auf, die Auswirkungen der Elbvertiefung erneut nach dem Stand der
Technik berechnen zu lassen und die realistischen Schäden für die Natur jetzt zu erfassen. Es kann nicht rechtmäßig sein, dass Natur und Steuerzahler am Ende den Preis für die heute schon absehbaren Fehlprognosen zahlen müssen“, drängt Beatrice Claus, WWF-Referentin für Ästuare und Flusspolitik.
Weniger Wachstum
Aus Sicht der Umweltverbände ist die Elbvertiefung auch angesichts der begrenzten Wachstumserwartungen im Hafen verzichtbar. Zum Beginn der Planung für die Elbvertiefung ging man für das Jahr 2020 noch von einem Umschlag von 23 Mio. Containern pro Jahr aus. Seit 2010 bewegen sich die Umschlagsmengen zwischen acht und zehn Mio. TEU, eine Veränderung ist nicht in Sicht. Damit entfällt eine wesentliche Begründung für das Projekt. Gleichzeitig steigen die Infrastrukturkosten. Dies hat unlängst eine Studie des renommierten Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes belegt (HWWI 2020).
„Die Elbvertiefung wurde von Anfang an mit utopischen Umschlagszahlen begründet. Heute wissen wir, dass der Containerboom ausbleibt, die Wertschöpfung mit den bunten Kisten sinkt und die Kosten zum Erhalt der notwendigen Hafeninfrastruktur steigen. Die 900 Mio. Euro teure Elbvertiefung macht selbst in der Wachstumslogik der Stadt ökonomisch keinen Sinn mehr. So wie heute keiner mehr in Kohlekraftwerke investiert, ist auch die Elbvertiefung eine strategische Fehlinvestition“, sagte Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg.
Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht
Die Umweltverbände hoffen erneut auf ein Urteil wie 2017. Das Bundesverwaltungsgericht hatte vor drei Jahren festgestellt, dass die die Planung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, unter anderem, weil die erforderlichen und europarechtlich vorgeschriebenen Ausgleichmaßnahmen nicht ausreichend sind. Die rechtlichen und fachlichen Anforderungen an den Ausgleich sind seitdem nicht kleiner geworden. Dies wird auch dadurch deutlich, dass im aktuellen Bericht zur Lage der Natur 2020 des Bundesumweltministeriums der Status des Schierlings-Wasserfenchels als „schlecht“ eingestuft wird und Deutschland eine weltweite Verantwortung für diese Spezies trägt.
Unabhängig von der Frage der rechtlichen Zulässigkeit ist gerade Hamburg als eine der reichsten Regionen Europas in besonderer Pflicht, die drohenden Naturverluste zu verhindern. Wohlstand muss sich mit Naturerhalt vereinen lassen. Einen Stopp der ökologisch problematischen und ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigenden Elbvertiefung sehen die Verbände daher als notwendig an.
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