Die Entwaldung im Amazonas ist in den ersten sechs Monaten des Jahres auf einen zehnjährigen Höchststand geklettert. Insgesamt rund 3.000 Quadratkilometer Wald wurden von Januar bis Ende Juni 2020 zerstört. Das entspricht mehr als der dreifachen Fläche Berlins und einem Zuwachs von 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allein im Juni gingen über 1.000 Quadratkilometer Regenwald verloren, wie das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE) bekanntgab. Ebenfalls in die Höhe schnellte die Zahl der Brände im weltgrößten Tropenwaldgebiet: So zählten Wissenschaftler im Juni zu Beginn der Brandsaison 2.248 Feuer, was einen Anstieg von 18 Prozent zum Vorjahr bedeutet und den höchsten Wert seit 13 Jahren.
Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland, kommentiert: „Waldbrände und Abholzung haben im Amazonas solche Ausmaße erreicht, dass es für den größten Regenwald der Erde mittlerweile ums nackte Überleben geht. Die Waldbrandsaison hat erst begonnen und die Zahlen deuten darauf hin, dass 2020 das katastrophale letzte Waldbrandjahr noch in den Schatten stellen wird. Wir eilen von einem Zerstörungsrekord zum nächsten. Die Folgen sind fatal – für die Brasilianerinnen und Brasilianer, aber auch für die Menschheit als Ganzes. Ohne den Amazonas werden wir die globale Klimakatastrophe nicht stoppen.“
Die Entwaldung fand in allen brasilianischen Bundesstaaten mit Amazonas-Regenwald statt. Am schlimmsten betroffen waren Pará mit 1.212 Quadratkilometer Waldverlust, Mato Grosso (715 Quadratkilometer) und Amazonas (539 Quadratkilometer). Als besonders beunruhigend bezeichnet der WWF die Tatsache, dass neben Wäldern in privater und staatlicher Hand auch die Zerstörung in Schutzgebieten zugenommen hat, wo eigentlich eine verstärkte Kontrolle stattfinden sollte. Die Umweltschützer machen für die Entwicklung die politische Führung verantwortlich. Die Regierung um Präsident Bolsonaro setze seit ihrem Antritt alles daran, den Waldschutz aufzuweichen. So seien die Behörden, die den Schutz des Amazonas überwachen und durchsetzen, durch Mittelkürzungen massiv geschwächt worden.
„Bolsonaros Politik wirkt wie ein Konjunkturpaket für Holzfäller, Landräuber und illegale Goldgräber. Die Botschaft, wonach selbst schwere Straftaten geduldet werden, ist angekommen. In Teilen des Amazonas herrschen heute Wildwest-Zustände. Schutzgebiete und indigene Territorien sind quasi zum Abschuss freigegeben“, so Christoph Heinrich.
Der WWF fordert die brasilianische Regierung auf, die Kontrollen zum Schutz des Waldes und der Indigenen nicht länger zu sabotieren. Wer den Amazonas zerstört lege damit auch die Axt an den Wohlstands Brasiliens. Die Dürren rund um Sao Paulo der vergangenen Jahre seien ein erster Vorgeschmack auf künftige Katastrophen. Daneben weisen die Umweltschützer auch auf die Verantwortung anderer Staaten und ausländischer Unternehmen hin. Deutsche und europäische Unternehmen müssten ihre Lieferketten dringend entwaldungsfrei gestalten. Von der deutschen Bundesregierung fordert der WWF, sich in den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten für bessere soziale und ökologische Standards einzusetzen. Es dürften keine Waren importiert werden, für die der Regenwald abgeholzt wurde. Die Europäische Union habe hier eine besondere Verantwortung – rund ein Sechstel aller hier gehandelten Lebensmittel trügen zur Entwaldung in den Tropen bei.
Hintergrund – Waldverlust in der Amazonas-Region:
Bis heute hat der Amazonas-Regenwald rund 20 Prozent seiner ursprünglichen Fläche verloren. Bei 25 Prozent zerstörter Fläche gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einem Kipp-Punkt aus. Ab dem Moment könnte sich das regionale Klima derart ändern, dass sich große Teile des Regenwaldes langfristig in eine Steppe verwandeln. Der heute mächtigste Tropenwald der Erde würde seine Klimaschutzfunktion damit größtenteils verlieren. Die Folgen im Kleinen sind schon heute regional sichtbar: Städte wie Sao Paulo wurden in den letzten Jahren immer wieder von katastrophalen Dürren heimgesucht. Diese Entwicklung droht sich weiter zu verschärfen.