Berlin, 30.12.2020: Vor einem Jahr, am 31. Dezember 2019 wurde der Ausbruch einer neuen Lungenerkrankung in der chinesischen Stadt Wuhan bestätigt. Inzwischen gilt es als wissenschaftlich gesichert, dass das SARS-CoV-2-Virus von einem Wildtier auf den Menschen übersprang. Diese sogenannte „Zoonose“ hat eine weltweite Pandemie in Gang gesetzt. Anlässlich des Jahrestages veröffentlicht die Naturschutzorganisation WWF Deutschland eine Analyse zum Wildtierhandel in der südostasiatischen Mekong-Region. Das Ergebnis: Von schätzungsweise 500 Märkten in größeren Städten, auf denen häufig mit Wildtieren gehandelt wird, liegt die Hälfte in Regionen mit einem potenziell hohen Zoonose-Risiko. Nachdem China im Februar 2020 ein dauerhaftes Verbot der Zucht von Wildtieren für die Fleischproduktion erließ, sieht der WWF in einigen südostasiatischen Staaten dringenden Bedarf, die bestehenden Regelungen für den Handel nachzuschärfen, um die Zoonose-Gefahr einzudämmen. Artenschutz für bedrohte Wildtiere und öffentliche Gesundheitsvorsorge gehen in diesem Bereich Hand in Hand, so der WWF.
Der WWF-Analyse zufolge sind in ländlichen Gegenden viele Gemeinden zur Ernährungssicherung noch immer auf Wildtiere angewiesen, insbesondere in abgelegenen Gebieten mit hoher Mangelernährung bei Kindern. Zunehmend werden Wildtiere allerdings auch für den Verkauf auf städtischen Märkten gejagt. „Große Märkte mit niedrigen Hygienestandards auf denen Wildfleisch verkauft wird, sind besonders riskant für die Übertragung von Zoonosen“, warnt Dr. Stefan Ziegler, Artenschutz- und Asienexperte beim WWF Deutschland. Auf Lebend-Tiermärkten wie sie in weiten Teilen Chinas und Südostasiens existieren, werden Wild- und Nutztiere nebeneinander verkauft und geschlachtet. Restaurants, die Gerichte mit Wildtieren zubereiten, sowie Online- und Straßenverkäufe sind ebenfalls potenzielle Schmelztiegel für neue Krankheitserreger. Doch nicht nur die Märkte stellen laut Ziegler ein Risiko dar: „Die Corona-Ausbrüche in den europäischen Nerzfarmen zeigen, dass solche Anlagen tickende Virusbomben sind. Und Wildtierfarmen gibt es auch in Südostasien schätzungsweise hunderte.“
Laut WWF werden jedes Jahr in der Region dutzende Millionen Wildtiere zu Nahrungszwecken oder zur Verwendung in der traditionellen Medizin gehandelt. Neben Wildschweinen und Hirschen sind das häufig Nagetiere und Fledermäuse, die als Reservoir für eine Vielzahl von pathogenen Erregern gelten. „Die Einstellung des illegalen und unregulierten Wildartenhandels ist dabei ebenso wichtig wie die Durchsetzung von Hygiene- und Sicherheitspraktiken auf Wildtiermärkten und in Restaurants. Regionale Netzwerke und nationale
Behörden, die den Handel mit Wildtieren überwachen und geltendes Recht durchsetzen, sind jedoch stark unterfinanziert, und die Kapazitäten zur Gewährleistung von Hygiene- und Sicherheitsstandards sind häufig begrenzt. Nur durch bessere Überwachung der geltenden Gesetze, Schulung und Einhaltung von Hygienestandards und die Untersuchung auf pathogene Erreger bei Menschen und Tieren lassen sich pandemische Risiken im Keim ersticken.
Der WWF fordert daher, den Handel mit Wildtieren und deren Produkten nach Risikoklassen einzustufen: Kontrolle oder gar Handelsverbote von höheren Risikoklassen sind dann unabdingbar - insbesondere in städtischen Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte. Außerdem müsse es verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels geben. „Was im Verborgenen geschieht und im Dunkel bleibt, ist riskant. Der Schmuggel von Wildtieren jenseits aller Kontrollen und Regularien kann ein idealer Nährboden für Virensprünge von Tier zum Menschen sein“, warnt Ziegler. Zudem bräuchte es wirksame Mechanismen zur Überwachung von Märkten und Restaurants. Ziel müsse es sein, dass Risiken im legalen Handel mit Wildtieren minimiert werden. Auch Verbraucheraufklärung könne hier einen Beitrag leisten.
Der WWF macht jedoch auch auf ein zweites Umweltproblem aufmerksam, das Virus-Sprünge aus dem Tierreich auf den Menschen befördert: Südostasien ist durch eine massive Entwaldungsfront gekennzeichnet. Zwischen 1990 und 2010 wurde die Waldfläche
Südostasiens von 268 Mio. ha auf 236 Mio. ha reduziert. „Wenn Lebensräume zerstört werden und natürliche Barrieren wegfallen, bringt das Arten in Kontakt zueinander, die vorher nicht im Kontakt waren. Werden dort neue Siedlungsräume geschaffen, entsteht eine neue, räumliche Nähe zum Menschen und seinen Nutztieren“, warnt Ziegler. Beispiele aus vielen Regionen der Welt verdeutlichen die darin liegenden Gefahren: Schweinefarmen und Obstbaumplantagen in Malaysia haben den Weg bereitet für die Übertragung des Nipah-Virus von Flughunden auf Menschen. Die Expansion von Reisfeldern und Schweinehaltung in Vietnam hat die Ausbreitung der Japanischen Enzephalitis beschleunigt. Auch andere Infektionskrankheiten werden von Entwaldung getrieben wie bspw. eine brasilianische Studie aus dem Jahr 2010 zeigt: Die Abholzung von vier Prozent eines Waldes ging mit einer fast 50-prozentigen Zunahme der Malariafälle beim Menschen einher.