Bitte nicht schießen!
Wisente an der deutsch-polnischen Grenze gesichtet / WWF: Ein zweites „Lebus“ darf es nicht geben.
350 Meter vor der deutschen Grenze wurden im polnischen Cedynia zwei Wisentbullen gesichtet, die auch nach Deutschland kommen könnten.
Vor zwei Jahren hatte schon einmal ein freilaufender Wisent die Grenze überquert und wurde dann bei Lebus in Brandenburg auf Anordnung des Ordnungsamt-Leiters von einem Jäger erschossen. Ein zweites „Lebus“ dürfe es nun nicht geben, so die Umweltschutzorganisation WWF Deutschland. „Wenn Wisente von sich aus in ihre ehemalige Heimat zurückkehren, sollten wir sie willkommen heißen und nicht abschießen. Abgesehen davon ist die Abschussfreigabe eines streng geschützten Tieres ohne ein ersichtliches Gefährdungspotential eine Straftat“, sagt WWF-Wisent-Expertin Nina Gandl. Gegen den Leiter des Ordnungsamtes hatte der WWF damals Strafanzeige gestellt, das Verfahren wurde allerdings wieder eingestellt.
Den Abschuss des Wisents im Jahr 2017 bezeichnet Gandl als „Ausdruck einer Hilflosigkeit der Behörden“. Ihre Kritik: „Wenn der Leiter eines Ordnungsamts nicht weiß, wie er mit Wildtieren umgehen soll, ist das für Deutschland ein Armutszeugnis in Punkto Artenschutz. Der Vorfall war für die Politik aber scheinbar kein Warnschuss, denn seitdem ist nicht viel passiert. Wenn überhaupt lastet das Wildtiermanagement häufig auf den Schultern von engagierten Ehrenamtlichen, professionelle Strukturen fehlen überwiegend. Deutschland muss dringend sein Wildtiermanagement professionalisieren.“
Ein enger Erfahrungsaustausch sowie eine grenzübergreifende Zusammenarbeit mit den polnischen Nachbarn kann laut WWF betroffenen Bundesländern wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern helfen, sich auf die Rückkehr der Großsäuger vorzubereiten. Durch Schutzmaßnahmen und Auswilderungsprojekte in Polen konnten sich die Bestände beider Arten dort über die letzten Jahre erholen und finden jetzt zunehmend ihren Weg nach Deutschland.
Gefahren für die öffentliche Sicherheit gehen von wildlebenden Wisenten in der Regel nicht aus, so die Einschätzung des WWF. Dass das artspezifische Verhalten der Tiere für den Menschen keine Bedrohung ist, haben sowohl in Polen als auch in Deutschland erfolgreich durchgeführte Projekte mit ausgewilderten Wisenten gezeigt. Wie bei jedem Wildtier, gilt auch bei einem Wisent Ruhe zu bewahren, einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten und das Tier nicht unnötig zu erschrecken.
Der WWF Deutschland wird alle Landkreise in der Nähe der gesichteten Wisente über die Tiere und deren mögliches Auftauchen in Deutschland informieren. Darüber hinaus startender WWF-Deutschland, das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V., die Humboldt-Universität zu Berlin, die West Pomeranian Nature Society (ZTP) und das Kulturzentrum im polnischen Mirosławiec dazu Mitte September ein länderübergreifendes Projekt.
Dr. Hannes König vom ZALF, welches die Projektkoordination übernimmt, merkt hierzu an, „dass eine Sensibilisierung betroffener Landnutzer, insbesondere aus den Bereichen Land- / Forstwirtschaft, aber auch Jagd, Naturschutz, Tourismus und Verkehr notwendig ist, um neben einer höheren Akzeptanz für den Artenschutz auch nachhaltige Managementstrategien umzusetzen.“
Wandernde Wildtiere wie Elch, Wisent und Wolf kennen keine Ländergrenzen, wie der aktuelle Fall zeigt. Ziel des gemeinsamen Projektes ist es, ein grenzüberschreitendes Management der beiden Arten zu initiieren und gemeinsam Lösungsansätze für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Tier zu erarbeiten.