Das Dorschdrama
Westlicher Dorschbestand vor dem Zusammenbruch / WWF: Auch Angel-Sektor muss sich am Bestandsaufbau beteiligen
Hamburg/Stralsund: Er ist der große Raubfisch in der Ostsee und der Brotfisch der deutschen Küstenfischer: der Dorsch. Jetzt steht der westliche Dorsch-Bestand vor dem Zusammenbruch. Die Folgen für die Fischerei sind gravierend. Wissenschaftler (ICES) empfehlen, die Fangmenge um 87 Prozent zu kürzen.
„Hier zeigen sich die hässlichen Folgen von konsequenter Überfischung. Der Fischereidruck auf den Dorschbestand ist seit über 20 Jahren ununterbrochen zu hoch“, kritisiert Stella Nemecky, WWF-Fischereiexpertin. „Große, ältere Dorsche, die besonders viel Nachwuchs produzieren, fehlen jetzt im Bestand fast völlig.“ Der Nachwuchsjahrgang 2015 ist so schwach, dass es einem Totalausfall nahe kommt. Deshalb mussten Annahmen zur Bestandserholung und auch die wissenschaftliche Empfehlung für Höchstfangmengen geändert werden. „Eine drastische Kürzung der Fangquote wurde über Jahre vermieden, immer mit dem Verweis auf die sozio-ökonomischen Folgen für die deutschen Küstenfischer. Das ist verständlich, hat aber auch genau in die jetzige Sackgasse geführt. Die erforderlichen, leider drastischen Kürzungen ein weiteres Mal aufzuschieben, wäre der Sargnagel für Fischbestand und Fischerei“, warnt Stella Nemecky. Würden die Fangmengen wieder über den wissenschaftlichen Empfehlungen angesetzt, bestehe die Gefahr, die Fischerei ab nächstem Jahr komplett schließen zu müssen, womöglich auf unbestimmte Zeit. Das Schreckensszenario ist Neufundland, wo Anfang der 90er Jahre erst die Kabeljaubestände und dann die Fischerei komplett zusammengebrochen sind. Bis heute ist der Kabeljau dort nicht zurückgekehrt.
In der Ostsee hat der Raubfisch Dorsch jedoch viele Jäger - neben der professionellen Küstenfischerei fangen auch Freizeitangler u.a. auf Hochseetouren so viel Dorsch, dass der ICES (Wissenschaftlicher Rat zur Erforschung der Meere) diese Fänge erstmals auf Wunsch der EU-Kommission berücksichtigt und für den Angelsektor „beiseitegelegt“ hat. 2558 Tonnen Dorsch ziehen Angler in Deutschland durchschnittlich jedes Jahr aus der Ostsee. Berücksichtigt man dies, verbleibt für die kommerzielle Fischerei in 2017 noch eine Höchstfangmenge von 917 Tonnen Dorsch aus dem westlichen Bestand, die primär zwischen deutschen, dänischen und schwedischen Fischern geteilt wird. Die Wissenschaftler empfehlen dem Bestand insgesamt nicht mehr als 3474 Tonnen zu entnehmen.
„Die Angelfischerei wirkt sich gravierend auf den schrumpfenden Dorschbestand aus, ist aber bis auf eine Mindestgröße für Fisch überhaupt nicht reguliert. Auch der Angelsektor muss substantiell am Wiederaufbau des Dorschbestandes beteiligt werden“, fordert Stella Nemecky. Die vom Deutschen Angelfischer-Verband vorgeschlagene Selbstverpflichtung sei sehr zu begrüßen, gehe jedoch nicht weit genug. Wenn die Kontrolle ernst genommen wird, kann ein tägliches Fang-Limit für jeden Angler eine sehr wirksame Maßnahme sein. In anderen Fällen wird das bereits praktiziert: Für Wolfsbarsch u.a. in der Nordsee hat der Europäische Dachverband der Angler ein Fang-Limit von 2 Fischen pro Tag/Angler vorgeschlagen. Darüber hinaus fordert WWF einen wirksamen Schutz von Dorschen, während sich die Tiere zum Ablaichen versammeln. Eine solche saisonale Schließung der Fischerei müsse für Angler und Fischer gleichermaßen gelten.