Naturschutz in Deutschland weiter mangelhaft
Naturschutzbericht der Bundesregierung offenbart Krise der biologischen Vielfalt - Verbände fordern Soforthilfeprogramm
Anlässlich des heute im Bundeskabinett verabschiedeten Indikatorenberichts 2014 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt haben deutsche Umweltverbände den voranschreitenden Verlust an Arten und Lebensräumen in Deutschland sowie mangelhafte Schutzmaßnahmen kritisiert. Die Bundesregierung sei meilenweit davon entfernt, ihre eigenen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt in Deutschland zu erreichen. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Naturschutzbund Deutschland (NABU), WWF Deutschland, Deutsche Umwelthilfe (DUH) sowie der Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) appellieren deshalb an Bund und Länder, ihre Bemühungen zum Schutz der biologischen Vielfalt rasch zu intensivieren, um Lebensqualität, natürliche Ressourcen und Vielfalt der Arten wirksam zu sichern. Mit der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt und den europäischen Biodiversitätszielen gebe es einen klaren Rahmen und in der Nationalen Strategie der Bundesregierung zur biologischen Vielfalt gut gewählte Ziele. Um diese noch zu erreichen, brauche es jedoch ein ambitioniertes Sofortmaßnahmenprogramm, das bis 2020 Erfolge zeige.
Insbesondere sei eine bessere Umsetzung, Durchsetzung und Finanzierung von Natura 2000, dem inzwischen größten Schutzgebietsnetz der Welt, notwendig. Das „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“ müsse als unterstützendes Förderinstrument von derzeit 15 Millionen Euro auf mindestens 30 Millionen Euro jährlich aufgestockt und vorrangig dafür genutzt werden, die noch verbliebenen „Hotspots der biologischen Vielfalt“ und die Ökosystemleistungen zu sichern. Weiterhin fordern die Umweltverbände, das geplante Biotopverbundsystem auf 10 Prozent der Landesfläche schnellstmöglich einzurichten und zu sichern. Zudem müsse das Ziel, fünf Prozent des Waldes insgesamt in Deutschland und zehn Prozent der öffentlichen Wälder in unbewirtschafteten Naturwald („Urwälder von morgen“) zu überführen, vorangetrieben werden.
„Der Indikatorenbericht, der als Fortschrittsbericht geplant war, offenbart vor allem den Fortschritt beim Verlust“, kritisierte Hartmut Vogtmann, Präsident des DNR. „Die bisherigen Maßnahmen wirken nicht. Die Bewirtschaftung der Agrarlandschaft wird weiter intensiviert, mehr Flächen als geplant durch den Straßenbau versiegelt“, so Vogtmann weiter. Selbst bei der Waldzertifizierung und der Agrarnaturschutzförderung sei nur die Theorie des Indikatorenberichts gut, in der Praxis würden bedrohte Arten nicht wirksam geschützt. „Hier sind die Bundesländer in der Pflicht, ihre Spielräume zu nutzen, da sie für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich sind“, so Vogtmann weiter.
Am stärksten falle der fortschreitende Verlust von Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ins Gewicht. 2015 sollte der von der Bundesregierung in der Strategie verankerte Zielwert für Bestandesgrößen von bestimmten Vogelarten zu 100 Prozent erreicht sein, jedoch sank der Wert auf derzeit nur 56 Prozent. Hierfür machen die Verbände vor allem die intensive industrielle Landnutzung verantwortlich. Nur eine nachhaltigere Landwirtschaft und der Ausbau des Ökolandbaus könnten dem noch entgegenwirken. Im Wald zeige sich zwar eine leichte Verbesserung der Strukturen, da jedoch die Messlatte durch schwache Standards wie PEFC niedrig sei, bleibe der messbare Erfolg weitgehend aus.
Die Umweltverbände weisen auch darauf hin, dass ganze Indikatorengruppen unterschlagen würden: So fehlten ein für die Vielfalt im Meer dringend notwendiger Fischerei-Indikator sowie eine Analyse wirksamer Maßnahmen in der Landwirtschaft.
„Die Treiber des Verlustes an Naturräumen bleiben weitestgehend unangetastet“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. „Der Schutz unserer Böden vor Überdüngung wird durch die Düngeverordnung in ihrer jetzigen Form nicht erreicht. Der Flächenverbrauch ist immer noch mehr als doppelt so hoch wie geplant. Selbst das Tafelsilber des Naturschutzes, das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000, wird nicht ausreichend geschützt und seine Erhaltung wird nicht ausreichend finanziert.“
NABU-Präsident Olaf Tschimpke erläutert: „Die EU-Naturschutzrichtlinien können ihre Wirkung nicht voll entfalten, weil ihre Umsetzung in Bund und Ländern hakt. Hier sind vor allem die Landesregierungen in der Pflicht, nach Jahren des Abwartens endlich die europäisch bedeutsamen Natura-2000-Gebiete effektiv zu schützen. Sonst droht ein Verfahren der EU-Kommission.“
Besonders deutlich verfehle der gemessene Wert des sogenannten Gesellschaftsindikators seine Zielvorgaben. Dieser zeigt an, wie sehr der Bevölkerung die Bedeutung der biologischen Vielfalt bewusst ist. Derzeit liegt dieser Wert mit 25 Prozent bei nur einem Drittel des Zielwertes.
„Die Bundesregierung hat zwar theoretisch erkannt, dass der Wert der natürlichen Lebensgrundlagen auch in der Umweltbildung vermittelt werden muss“, sagte der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner. Der notwendige Dialog über den Stellenwert unserer natürlichen Lebensgrundlagen findet in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung jedoch kaum statt. „Die laufende UN-Dekade für biologische Vielfalt ist bei der großen Mehrheit der Bevölkerung noch überhaupt nicht angekommen“, resümierte Müller-Kraenner.
„Der Bericht zeigt deutlich, dass die bisherigen Bemühungen zum Schutz der biologischen Vielfalt in unserem Land bei weitem nicht ausreichen“, betont Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz des WWF Deutschland. „Das Bundesprogramm biologische Vielfalt muss dringend gestärkt und die Finanzierung des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 verbessert werden.“
Hintergrund:
Der Indikatorenbericht bewertet im Abstand von wenigen Jahren die Zielerreichung der in der Nationalen Strategie der Bundesregierung zur biologischen Vielfalt verankerten Ziele. Dazu werden aktuell 19 Indikatoren eingesetzt. Die Nationale Strategie fußt auf den in der Convention on Biological Diversity (CBD) weltweit und auf EU-Ebene europaweit verankerten Schutzzielen. Ein aus der Sicht der Verbände wesentlicher Webfehler der Strategie ist, dass die Bundesländer als umsetzende Organe nicht verpflichtend eingebunden sind.