Elbe auf der Kippe
Wissenschaftlicher Report belegt: Auch die Elbe könnte kippen / Umweltverbände: Elbvertiefung ist daher ökologisch nicht vertretbar
Die Auswirkungen von Flussvertiefungen auf Strömung und Verschlickung der Gewässer werden bei der Planung von Infrastrukturprojekten in Europa regelmäßig unterschätzt. Auch bei der Elbvertiefung drohen größere Umweltrisiken als von den planenden Behörden bislang berücksichtigt wurden. Dies leitet das Aktionsbündnis „Lebendige Tideelbe“ aus einem aktuellen im Auftrag belgischer und niederländischer Behörden erstellten Report ab, den BUND, NABU und WWF heute in Hamburg vorstellten. Der Report untersucht die Auswirkungen menschlicher Eingriffe auf den Zustand mehrerer Flüsse, darunter auch die Elbe. Der Verfasser Prof. Johan C. Winterwerp kommt zu dem Ergebnis, dass die Elbe sich heute in einem kritischen Zustand befindet. Jede weitere Veränderung ihrer Form, z.B. durch Ausbaumaßnahmen, stelle ein großes Risiko für die Umwelt dar.
„Es ist zu befürchten, dass die Auswirkungen einer weiteren Flussvertiefung zum Überschreiten des „kritischen Punktes“ an der Elbe führen und das Flussökosystem zum Kippen bringen“, stellt Beatrice Claus vom WWF fest. „Wohin die Entwicklung eines Flusses führen kann, der zu stark vertieft wird, ist an der Ems in erschreckendem Maße sichtbar geworden.“ Dieser Fluss ist über viele Monate im Jahr regelrecht tot. Der Sauerstoffgehalt sinkt dann so weit ab, dass die Fische sterben, wenn sie nicht rechtzeitig geflohen sind. An der Ems und an der Loire ist der kritische Punkt laut Report bereits überschritten. Claus meint deshalb: „Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind ein wichtiger Fortschritt für den Schutz unserer Flüsse. Jetzt kommt es darauf an zu vermeiden, dass die Elbe wie die Ems kippt und zeitweise ökologisch tot ist.“ Laut Report hat vor allem das Zusammenspiel der menschlichen Eingriffe fatale Folgen: Werden einstige Überschwemmungsgebiete und Nebenarme durch neue Deiche abgeschnitten führt dies in Verbindung mit vertiefenden Ausbaggerungen zu einer Umkehr des Sedimenttransportes. Sedimenteintrag aus der Nordsee und Schwebstoffkonzentration innerhalb der Flussmündungen nehmen zu.
Schon die letzte Elbvertiefung von 1999 hat nach Einschätzung des Aktionsbündnisses zu einem starken Anstieg der Verschlickung nicht nur des Hamburger Hafens, sondern auch der ökologisch wertvollen Flachwasserzonen und Nebenelben geführt: Seitdem hat sich die Menge des Baggerguts aus Sand und Schlick verdreifacht. Trotzdem behauptet der Senat „Belege oder auch nur Hinweise auf eine signifikante Zunahme des „tidal pumping“ infolge der Fahrrinnenanpassung 1999/2000 gibt es nicht.“ Alexander Porschke vom NABU meint dazu: „Der Senat steckt den Kopf in den Schlick, weil er nicht wahrhaben will, in welche Gefahr er die Elbe bringt. Das ist unverantwortlich gegenüber der Natur, aber auch gegenüber den Steuerzahlern.“ Der Bund und das Land Hamburg müssen nämlich schon heute jedes Jahr ca. 100 Mio. Euro dafür ausgeben, um nur die jetzige Gewässertiefe zu erhalten. Für die jetzt beantragte Elbvertiefung sollen 40 Mio. Kubikmeter Sediment gebaggert werden. Porschke: „Das ist das Dreifache gegenüber der letzten Vertiefung. Zu glauben, dass dadurch das dramatische „tidal pumping“ nicht gefährlich beschleunigt wird, setzt schon ein hohes Maß an Verdrängungskunst voraus.“
Während der Senat gegenüber der Bürgerschaft versucht, die Probleme der Tideelbe herunter zuspielen, gehen die Planer der Elbvertiefung selbst bereits von negativen Veränderungen in der Tideelbe durch die nächste Vertiefung aus. Laut Planunterlagen würden Tideenergie und Sedimenttransport zunehmen. Zudem verlanden die Nebenelben, was durch den Verlust von Flutraum wiederum für mehr Tideenergie im System sorgt. Dieser Zusammenhang ist seit 2006 bekannt. Um diese Effekte zumindest abzuschwächen, will die Wasser- und Schifffahrtsdirektion gewaltige Unterwasserlagerstätten im Mündungsbereich des Flusses errichten. Ob dies funktioniert, muss aber bezweifelt werden. Gutachterlich konnte belegt werden, dass dieser geplante Verbau in der Flussmündung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stabil bleibt und sich damit die erhofften dämpfenden Effekte nicht einstellen. „Wenn also die Auswirkungen der Elbvertiefung gravierender sind als angenommen und die Schadensbegrenzungsmaßnahmen nicht funktionieren, bleibt nur ein Schluss: Die Elbvertiefung ist ökologisch nicht vertretbar und vor allem nicht mit dem Vorgaben des Europäischen Umweltrecht vereinbar“, so Manfred Braasch vom BUND.