Bevor ich mich an die Arbeit mache, räume ich noch meinen Fahrradkorb aus. Eine Picknickdecke, eine Brotdose, ein Flipflop. Ein Flipflop? Mist. Der andere muss mir gestern Abend nach dem Picknick an der Elbe aus dem Korb gefallen sein.
Tipp 5: Darauf achten, dass kein Müll unbeabsichtigt aus Hosentaschen und Einkaufskörben fliegt. Vieles davon landet im Meer.
Im Alltag komplett ohne Plastik auszukommen, ist nahezu unmöglich. Handy, Laptop, Kleidung, Verpackungen - fast alle Dinge, die für uns unverzichtbar sind, sind aus Plastik. Aber jeder von uns kann seinen Plastikverbrauch drastisch reduzieren - mit guter Planung und ein bisschen Pioniergeist. Unsere Autorin führt uns durch ihren Alltag als Plastikvermeiderin.
7:30 Uhr Aufstehen
Mein Handywecker klingelt. Eine plastikfreie Alternative zum Handy wurde leider noch nicht erfunden. Mein Handy ist immerhin ein gebrauchtes Modell, das ich im Internet erstanden habe. Da sehr viele Menschen ihr Handy nur ein oder zwei Jahre nutzen, gibt es viele, auch aktuelle Modelle gebraucht zu kaufen.
Tipp 1: Im Freundeskreis oder im Internet nach gebrauchten Handys suchen. Nutzen, was andere schon mal genutzt haben!
Im Bad stehen seit gestern zwei Zahnbürsten in meinem Zahnputzbecher. Zum Glück gibt es in meiner Stadt einen Unverpackt-Laden, der meinen Einkaufsalltag ziemlich radikal verändert hat. Aber dazu später mehr. Dort habe ich eine Zahnbürste erstanden, deren Bambusgriff kompostierbar ist. Die Borsten sind laut Herstellerangaben "erdölfrei" und bestehen aus Rizinusöl. Daneben steht etwas verschämt und ausgefranst noch meine alte Plastikzahnbürste. Nur zur Sicherheit. Ich lege eine Zahnputztablette auf die dunkelblauen Nylonborsten, beginne zu putzen und sehe mich im Spiegel Grimassen ziehen. Der Griff der Zahnbürste ist ganz schön rau, die Borsten hart - gewöhnungsbedürftig. Die Zahnputztablette habe ich auch aus dem Unverpackt-Laden. Sie besteht aus Zahnpasta, der man das Wasser entzogen hat und schmeckt schön frisch.
Tipp 2: Zahnbürsten aus Bambus, Zahnpasta in Tablettenform nutzen.
8:00 Uhr Körperpflege
Auch Seife und Haarwaschmittel sind aus dem Unverpackt-Laden. Ich habe einfach eine alte Haarwaschmittel-Dose behalten, in die ich im Laden das Haarwaschmittel aus dem großen Mehrwegkanister einfülle. Manche Bioläden haben auch Haarwaschmittel in Seifenform.
Tipp 3: In Deutschland gibt es Unverpackt-Läden oder im Handel werden manchmal Waren unverpackt angeboten. Eine Alternative kann ebenso der Zero-Waste-Versandhandel sein.
Außerdem habe ich in den letzten Wochen alles an vermeintlich schöner, reiner, glatter machenden Produkten in meinem Badezimmer radikal reduziert. Nachdem ich eines Tages acht verschiedene Flaschen Duschgel und vier Haarshampoos gezählt habe, von den zahlreichen Sonnencremetuben, -fläschchen und -stiften ganz zu schweigen, habe ich mir vorgenommen: Ein Shampoo, ein Stück Seife, eine Creme. Muss reichen - plastikfrei oder mit weniger Plastik zu leben, heißt auch Reduzieren von Unnötigem.
Tipp 4: Gebrauchte Behälter wieder nutzen, durchs Badezimmer gehen und Produkte nach und nach reduzieren.
9:00 Uhr Aufräumen
9:15 Uhr Arbeitsbeginn im Homeoffice
Laptop und Drucker - noch Fragen? Hier sind definitiv meine Grenzen erreicht - plastikfrei gibt es die wohl nicht. Immerhin: Den Drucker habe ich vor zehn Jahren von meinem Schwager geerbt! Ein stolzes Alter für ein Elektrogerät.
Ich schreibe an einem Artikel über Mikroplastik im arktischen Seeeis. 12.000 Plastikteile fand man in einem Liter Eis! Gut möglich, dass als Ursache auch der eine oder andere Plastik-Flipflop infrage kommt...
Tipp 6: Gegenstände aus Plastik so lange nutzen wie möglich. Wenn doch ein Neukauf ansteht: Es gibt auch Tastaturen und Mäuse aus Bambus, Schuhe aus Baumwolle...
12:00 Uhr Mittagspause
Ich radele zum Asia-Laden meines Vertrauens. Mein Fahrrad? 25 Jahre alt und eigentlich ganz schön plastikarm. Ich kann sogar mit einer Handyhalterung aus recyceltem Fahrradschlauch punkten.
Tipp 6: Nach Produkten aus recyceltem Plastik Ausschau halten. PET-Flaschen bekommen oft ein zweites Leben als Einkaufskörbe, Kugelschreiber, Taschenrechner und Computergehäuse.
Im Asia-Imbiss ernte ich merkwürdige Blicke, als ich die alte, knallorange Tupperdose von meiner Oma auspacke. Mit einem beherzten Armschwung überwinde ich nicht nur den Tresen, sondern auch eine leichte innere Hemmschwelle. Da spricht mich eine Frau in der Schlange an: "Das ist ja eine tolle Idee!" Ermutigt lächele ich sie an, wir plaudern ein paar Minuten und so sehe ich zu spät, dass die Imbiss-Mitarbeiterin die Dose mit meinem Essen in eine große weiße Plastiktüte steckt. Unwillkürlich muss ich lachen und gebe ihr die Tüte zurück. Sie schaut mich verwundert an. Die Ironie der Situation scheint sich ihr nicht zu erschließen.
Tipp 7: Zum Imbiss eine eigene Dose und Besteck mitbringen. Nach einer neuen gesetzlichen Regelung müssen Restaurantbetreiber Mehrweglösungen anbieten oder mitgebrachte Behälter akzeptieren. Daher: Pioniergeist entwickeln und Gespräche anzetteln! Bringt vielleicht auch andere zum Nachdenken.
17:00 Uhr Meeting
Nachmittags treffe ich einen Kollegen, um ein neues Projekt zu besprechen. Wir wollen uns einen Kaffee holen und in den Park setzen. Er hat sich von zu Hause ein riesiges Kaffeeglas mitgebracht, das so aussieht, als hätte es in den letzten Tagen schon ein paar Getränke aufgenommen. Als er meinen Blick bemerkt, sagt er entschuldigend: "Hab's nicht mehr geschafft, den zu spülen!" Ich allerdings habe meinen schicken Mehrwegbecher, den ich mir extra für solche Zwecke angeschafft habe, zu Hause vergessen. Deshalb nehme ich sein Angebot dankend an, den Becher mit mir zu teilen, nachdem die Frau am Tresen den Becher wie beiläufig ausgespült hat.
Tipp 8: Den Mehrweg-Kaffeebecher nach dem Spülen nicht in den Küchenschrank stellen, sondern gleich im Rucksack oder in der Handtasche verstauen.
19:00 Uhr Einkaufen
Ich will noch einkaufen und gehe meinen Einkaufszettel durch. Wie viele Dosen brauche ich für den Unverpackt-Laden? In der großen Küchenschublade drängeln sich Dosen, Schachteln, Boxen, Gläser in allen Farben und Formen und buhlen um meine Aufmerksamkeit. Sicherheitshalber packe ich noch zwei Dosen mehr in meine großen Fahrradtaschen - man weiß ja nie, auf was man noch so Appetit bekommt. Dann blicke ich nachdenklich auf den etwas schmuddeligen Stoffbeutel, der an der Türklinke hängt. Alte Plastiktüten in allen Größen und Formen quellen aus ihm hervor - wo kommen die eigentlich alle her? Ich tröste mich damit, dass ich sie weiter verwenden werde, bis es gar nicht mehr geht und nehme ein paar davon für die Gemüseabteilung im Supermarkt mit
Tipp 9: Auch so einen Beutel voller Tüten zu Hause? Nicht schämen, sondern weiter nutzen!
Als ich meine Wohnungstür öffne, stolpere ich fast über eine rote Kiste voller knackigem Gemüse. Die meisten Lebensmittel liefert mir nämlich der Biobauernhof einmal in der Woche in einer Pfandkiste direkt vor meine Wohnungstür im dritten Stock. Plastikverpackungen? Fehlanzeige.
Tipp 10: Viele Biohöfe bieten ein sogenanntes Gemüseabo. Gemüse, aber auch Brot, Milch, Käse kommen frisch und in der Regel unverpackt oder in Pfandgläsern direkt nach Hause.
Obwohl der Unverpackt-Laden nicht größer ist als ein Zeitschriftenkiosk, gibt es dort alles. Wirklich. Gut, außer Laptops und Handys und anderen elektronischen Schnickschnack. Aber es gibt auf jeden Fall alles, was es auch im gut sortierten Bioladen gibt: Nudeln, Reis, Nüsse, Schokolade, Damenbinden, Hautcreme, Waschpulver, Kaffee, Gummibärchen, Sojadrink, Deo, Trockenhefe, Gemüsebrühe und sogar Klopapier. Alles ist in Mehrwegkanistern, Abfüllbehältern, Gläsern oder Pfandflaschen untergebracht. Es ist eng, wuselig, lustig - alle sind am Abfüllen, umfüllen, wiegen und abwägen - und haben dabei sichtlich Spaß!
20:00 Uhr Feierabend
Es ist ein milder Sommerabend. Ich will mich noch mit Freunden am Elbstrand treffen. Auf dem Weg dorthin kaufe ich mir schnell ein neues Paar Flipflops - diesmal plastikfrei aus Binsen und Baumwolle.
Fazit
Was oft unterschätzt wird: Auf Plastik und Einwegverpackungen zu verzichten, kann richtig Spaß machen! Der Unverpackt-Laden ist familiär wie früher Tante Emma, am Imbiss kommt man mit netten Menschen ins Gespräch - und kann sogar andere inspirieren! Zuhause muss der Mülleimer viel seltener zum Container getragen werden und beim Strandspaziergang weiß ich: Wenn ich so weitermache, wird in Zukunft kein Wal mehr eine Plastiktüte von mir verschlucken müssen.
Von Andrea Sievers