Besonders für Küstengemeinden weltweit ist die traditionelle Fischerei die Lebensgrundlage. An den Küsten zeigt sich, was wir heute auch von der Hohen See wissen: Der Eintrag von Plastik in die Meere belastet marine Lebewesen von den kleinsten Krebstieren bis zu den größten Haien und Walen. Geisternetze machen nach neuesten Studien zwischen 30 und 50 Prozent des Meeresplastiks aus. Da Tiere sich in ihnen verfangen oder sie als Nahrung aufnehmen und daran verenden können, stellen Geisternetze für viele Arten eine Bedrohung dar.
Die Meere sind das größte Ökosystem der Erde. Von den Ozeanen geht für die meisten Menschen eine starke Faszination aus. Mit ihrer Vielfalt an Lebensräumen und Arten bilden die Meere die Hauptnahrungsquelle für eine Milliarde Menschen.
Was sind Geisternetze?
Als Geisternetze werden herrenlose Fischernetze bezeichnet. Sie geistern durchs Meer und werden dort zur Gefahr für Meeresbewohner, weil sie unendlich weiter fischen. Oder sie liegen am Meeresgrund und lösen sich langsam in winzige Plastikfasern auf und tragen so zur Mikroplastik-Belastung der Meere bei. Geisternetze können durch Bootsunfälle oder Stürme in die Meere gelangen. Bevor es die genaue GPS-Standortbestimmung gab, blieben Schleppnetze häufig an Wracks hängen. Daher findet man gerade in den flachen Bereichen von Nord- und Ostsee Wracks, die mit Netzen bedeckt sind. Besonders in südlichen Ländern kommt es auch heute noch vor, dass Fischernetze im Meer entsorgt werden. Gerade bei der illegalen Fischerei ist dies der Fall, wenn Fischer die Gefahr sehen, erwischt zu werden, und ihre Netze im Wasser zurücklassen.
Warum sind Geisternetze ein Problem?
An Wracks oder als „aufgestellte“ Stellnetze fischen Geisternetze noch lange nach dem Verhaken sinnlos weiter. Neben Fischen werden Geisternetze auch für Robben, Wale, Meeresschildkröten und Tauchvögel zur Falle, wenn diese den Fischen nachjagen, die an Wracks oder kleinen „Plastikinseln“ Schutz suchen. Tauchvögel und Meeressäuger verheddern sich in den Netzen oder gelangen darunter und finden nicht mehr an die Oberfläche zum Atmen. Laut einer Zusammenfassung wissenschaftlicher Studien bis 2015 sind weltweit mindestens 344 Tierarten durch das Verheddern in Meeresplastik betroffen (Kühn et al. 2015) Bei 161 Arten, also fast der Hälfte, handelt es sich um Säugetiere, Schildkröten und Seevögel.
Seit den 1960er Jahren werden Fischernetze nicht mehr aus den leicht vergänglichen Naturstoffen Hanf, Sisal oder Leinen hergestellt, sondern aus synthetischen Stoffen wie Polypropylen, Polyethylen und Nylon (Polyamid). Verlorene Netze verrotten am Meeresgrund erst nach 400 bis 600 Jahren und tragen damit zur Plastikverschmutzung unserer Meere bei.
Sehr langsam werden sie zu immer kleineren Teilen zerrieben. Als sogenanntes Mikroplastik belasten sie die Unterwasserwelt. Zudem nimmt Mikroplastik im Meer befindliche Schadstoffe auf, die sich im Plastik anreichern. Gerade diese Kleinstteile sind im Meer problematisch. Fische halten die winzigen Kunststoffpartikel für Nahrung und fressen sie. Aber auch in vielen kleineren Organismen wie Muscheln, Würmern oder Schnecken konnte Mikroplastik nachgewiesen werden. Mehr als zwei Drittel typischer Fischarten im Nordost-Atlantik haben Mikroplastik in den Mägen, wobei 98 Prozent der Partikel als Fasern identifiziert wurden (Wieczorek et al. 2018). Ob diese aus Netzen oder aus Kleidung und anderen Quellen stammen, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Verlorene Netze tragen zu der Belastung mit solchen Fasern bei. Auf diese Weise kann sich Kunststoff aus Geisternetzen auch in der Nahrungskette anreichern.
Wie groß ist das Problem in unseren Meeren?
Die Vermüllung der Meere mit Plastik ist ein gewaltiges Problem. Die genauen Mengen, wie viele Netze jedes Jahr in die Meere gelangen, sind nicht bekannt. Etwa 10 Prozent des an europäische Strände gespülten Meeresplastiks besteht aus Geisternetzen und verlorenem Fischereigerät (FAO 2009). In der Nordsee finden Fischer etwa ein Viertel bis ein Drittel Netzteile und Taue beim Auffischen von Meeresmüll in ihren Netzen, berichtet der Niedersächsische Landesbetrieb für Küsten- und Naturschutz. Ebenso besteht der Meeresmüll am Grund von Nordsee, Atlantik, Arktis und Mittelmeer insgesamt zu etwa einem Drittel aus Plastik aus der Fischerei, einschließlich Netzen und Tauen (Pham et al. 2014). Weltweite Studien finden laut der Plastikdatenbank des Alfred-Wegener Instituts in der Wassersäule der Ozeane etwa ein Viertel Plastik und Netze aus der Fischerei (litterbase.org). An der Oberfläche im Pazifischen „Müllstrudel“ ist es sogar fast die Hälfte (The Ocean Cleanup 2018). Man geht davon aus, dass allein in der Ostsee jedes Jahr zwischen 5.000 und 10.000 Netzteile verloren gehen (WWF Polen 2011).
Welche Ursachen gibt es bei uns und weltweit für Geisternetze?
Wenn sich Netze von Fangschiffen losreißen oder Stellnetze bei Sturm aus den Verankerungen gerissen oder von anderen Schiffen überfahren werden, verbleiben sie als Geisternetze in den Meeren, wenn sie nicht wieder eingesammelt werden. Manche verhaken sich an Hindernissen am Meeresboden oder sie wurden nach Beschädigung nicht ordnungsgemäß im Hafen, sondern einfach auf See entsorgt.
Eine Ursache ist in manchen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens die illegale Fischerei. Droht ein illegales Fischerboot gefasst zu werden, kappen die Fischer die Netze, um zu flüchten. Die Netze bleiben dann aufrecht in der Wassersäule stehen und fischen weiter, auch wenn sie niemand mehr einsammelt. Durch solche Netze ist zum Beispiel der mexikanische Schweinswal Vaquita („Kälbchen“) hochgradig vom Aussterben bedroht.
Die Entsorgung von Fischereigerät auf See ist in Europa verboten. Geht ein Netz verloren, muss der Fischer zunächst versuchen, es zu bergen. Gelingt dies nicht, muss es den jeweiligen, nationalen Behörden gemeldet werden. Die Verantwortung für gemeldete Netze liegt dann beim Staat – so regelt es die Fischerei-Kontrollverordnung, die verpflichtend auch für den Mitgliedsstaat Deutschland gilt. Jedoch gibt es keine Pflicht, gemeldete Netze aus dem Meer zu bergen. Im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Norwegen wird dies auch auf Grund von fehlenden Meldungen in Deutschland kaum umgesetzt.
Wie können wir gegen Geisternetze vorgehen?
Der WWF testet Methoden zur umweltverträglichen Bergung von Geisternetzen und sucht nach Wegen, altes Netzmaterial dem Recycling und damit dem Wertstoffkreislauf wieder zuzuführen. Dazu arbeitet der WWF mit Fischern und Tauchteams zusammen, die verhakte Netze vom Boden lösen und mithilfe eines Bergungsankers und der Schiffswinde bergen.
Im April 2018 haben sich Wissenschaftler, Firmen, Ämter, Taucher und Sonarexperten in Stralsund getroffen, um in zwei Workshops die größten Schwierigkeiten bei der Lösung des Geisternetze-Problems anzugehen. Im Sonar-Workshop wurden neue Suchmethoden auf der Ostsee getestet, um verlorene Fischernetze auch nach Jahren im Meer wieder aufspüren zu können.
Beim Recycling-Workshop wurden die Möglichkeiten diskutiert, wie aus dem Meer geborgene Geisternetze sinnvoll wiederverwertet werden können. Eingeladen waren auch die Kollegen vom WWF Peru und WWF Hong Kong, die Projekte zur Suche und Verwertung von Fischernetzen an ihren Küsten geplant haben.
Um das weltweite Problem der Geisternetze in den Meeren in den Griff zu bekommen, ist Aufklärung das wichtigste Mittel. Kontrollen können in der Küstenfischerei helfen, sind jedoch auf der Hohen See unrealistisch. Hier ist es am wichtigsten, den Fischern und Hilfsarbeitern zu vermitteln, dass der Lebensraum Meer wertvoll ist. Verlorene oder über Bord geworfene Netze schädigen diesen Lebensraum und mit den Fischen auch die Fischerei. In kleinen Fischereigemeinden an Küsten weltweit entstehen immer mehr Projekte, um Netze aus dem Meer zu bergen oder aussortierte Netze zu recyceln, damit sie nicht bei einem Sturm ins Meer gelangen. In solchen Gegenden haben die Menschen bereits verstanden, dass Geisternetze ihre lebenswichtigen Fanggründe zerstören und dass sich die Fischer mit entsorgtem Netzmaterial selber schaden. Gemeinsam mit Projektpartnern wie den WWF-Teams in Peru, Mexiko oder Hong Kong möchte der WWF diese Ansätze weiterverfolgen und ausbauen.
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